Das neue Jerusalem

Treppeln

Ruine Treppeln

Treppeln

Kartenansicht Glaube, Liebe, Hoffnung: Ist das Grafito auf der Abrissruine in Treppeln schon ein Ausblick in die (Kloster)Zukunft des Geländes? (Foto: Andreas Batke)

Einfach und erhaben zugleich

Ehemaliges Forsthaus weicht einem Klosterneubau

Wenn Pater Kilian im katholischen Pfarrhaus am Stiftsplatz in Neuzelle Gäste empfängt, sollen diese sich zu Hause fühlen – so wie sich auch die Mönche des Zisterzienserpriorats zu Hause fühlen sollen in einem Kloster. In Neuzelle ist das eher nicht der Fall. »Neuzelle ist der Ort, an dem uns die Augen aufgegangen sind«, sagt Pater Kilian. »Es ist aber auch der Ort, wo wir sagen, hier, im Pfarrhaus, können wir nicht bleiben. Wir müssen wieder weg.« Auf dem Gelände des ehemaligen Forsthauses Treppeln, das bis 1989 von der Staatssicherheit als Ferienanlage genutzt war, soll darum ein neues Kloster entstehen: mit Kreuzgang, Klosterkirche, Kapelle, Gästehaus. Und zwar aus Backstein. Das hat mit dem Klimawandel und der Hitze zu tun, aber auch mit der Akustik. »Wir singen dreieinhalb Stunden am Tag das Chorgebet, da muss die Akustik stimmen.« Im Moment ist man noch beim Übergang zur Entwurfsplanung. In die aus Mexiko stammende Architektin Tatiana Bilbao hat das Priorat dabei vollstes Vertrauen. Sie muss einen Spagat schaffen: Einfach und schlicht soll das neue Kloster werden, kein barockes Feuerwerk wie in Neuzelle. Aber es soll auch erhaben sein. Pater Kilian erklärt das in seinen Worten: »Ich hab‘ ja schon lange die wilde These, dass die Architektur der Zisterzienser quasi eine Vorwegnahme des Bauhausgedankens war: Nämlich die Kraft der Reduktion zu entdecken.« Aber es gehöre eben auch Gestaltungswille dazu. »Es soll eine Architektur sein, die die Seele erhebt, sodass man mit den Füßen auf dem Boden steht, aber Herz und Seele sich in den Himmel erheben.«

Es soll eine Architektur sein, die die Seele erhebt.

Treppeln

Forsthaus Treppeln

Treppeln

Kartenansicht Rückbau der Schießanlage: Das baufällige Forsthaus in Treppeln wurde bis 1989 von der Staatssicherheit als Ferienanlage genutzt – jetzt soll hier ein Kloster entstehen. (Foto: Andreas Batke)

Fensterfragment

Bleiglasfenster

Fensterfragment

Bleiglasfenster aus den 1970er Jahren, geborgen 2021 beim Forsthaus Treppeln (Foto: Bernd Choritz)

Putto

Putto

Putto

Putto aus Holz, Alter vermutlich 18. Jahrhundert (Foto: Bernd Choritz)

Alles Denkmal

Michael Reh

Michael Reh

Michael Reh

Michael Reh leitet in Eisenhüttenstadt den Bereich Stadtentwicklung. (Foto: Andreas Batke)

Wohnen im Flächendenkmal

Ein ganzes Stadtzentrum wird saniert

1956, als Kind, ist Gabriele Rogge-Haubold nach Eisenhüttenstadt gekommen, hat also den Aufbau dort miterlebt. In den frühen 1990er-Jahren kam die Architektin in den Bereich Stadtentwicklung im Rathaus und leitete diesen, bis sie Ende 2019 in Rente ging und Michael Reh die Aufgabe übernahm. Mit der Wende begann wie überall im Osten der Strukturwandel, Arbeitsplätze fielen weg, Familien verließen die Stadt, die Zahl der Geburten sank. Hatte die Stadt 1990 noch 50.000 Einwohner, werden inzwischen nur noch 23.000 gezählt. »Die Wohnungsgesellschaften hatten Gutachter, die ihnen vorrechneten, wo was am sinnvollsten ist«, erzählt Gabriele Rogge-Haubold. Doch denen zu folgen, hätte in jedem der Wohnkomplexe, besonders im Denkmalensemble, Löcher gerissen. »Das war nicht das, was wir wollten. Wir wollten die Wohnungsgesellschaften motivieren, im Zentrum zu sanieren, dort, wo alle öffentlichen Einrichtungen vorhanden sind, es kurze Wege für die Bewohner gibt«, erklärt die Architektin. Die Aufgabe war für alle Neuland, auch bei der Finanzierung. »Wir mussten erst einmal erklären, dass wir hier das größte Flächendenkmal der 1950er- und frühen 1960er-Jahre Deutschlands auf mehr als 100 Hektar Fläche haben und dessen Erhalt nicht allein leisten können.« Als Michael Reh den Bereich Stadtentwicklung übernahm, fand er ein fast komplett saniertes Denkmalensemble vor. Aufgaben für die Stadtplaner sieht er aber auch künftig jede Menge. Denn jene Häuser, die vor 25 Jahren zuerst saniert wurden, müssten jetzt wieder angefasst werden. Wichtig für das Erscheinungsbild der Stadt sind zudem die in die Jahre gekommenen Straßen, Gehwege und Grünanlagen im Denkmalbereich insgesamt.

So ein Denkmal muss leben.

Eisenhüttenstadt

Einsenhüttenstadt

Eisenhüttenstadt

Kartenansicht Blick auf die Lindenstraße im Zentrum von Eisenhüttenstadt – im Hintergrund das alte Kaufhaus »Magnet« mit dem Wandbild »Deutsch-Polnisch-Sowjetische Freundschaft« (1967) von Walter Womacka (Foto: Andreas Batke)

Alles auf einer Ebene

Anne Langpap und Daniel Höritzsch

Anne Langap und Daniel Höritzsch

Anne Langpap und Daniel Höritzsch

Anne Langpap und ihr Lebenspartner Daniel Höritzsch genießen die Ruhe und den Platz auf ihrem Grundstück in Merz. (Foto: Andreas Batke)

Alles auf einer Ebene

Ein Bungalow verspricht Barrierefreiheit

Anne Langpap und Daniel Höritzsch sind beide auf dem Land aufgewachsen. »Wenn man das kennt«, sagen sie, »wünscht man sich das auch für die eigenen Kinder.« In Merz, Anne Langpaps Heimatdorf, haben sie darum vor Kurzem gebaut – und bei der Wahl des passenden Haustyps nicht lange überlegen müssen: Ein Bungalow sollte es sein – ein flaches Haus mit nur einer Wohnebene. »Weil es altersgerecht ist«, gibt sich Daniel Höritzsch in punkto Barrierefreiheit weitsichtig. Das Paar liegt damit voll im Trend: Die Deutschen lieben moderne Baustile, und auch in Oder-Spree entschieden sich in den vergangenen Jahren etwa die Hälfte der Eigenheimbauer für einen Bungalow. Neben Vorteilen wie der durch die Eingeschossigkeit gegebenen Barrierefreiheit und großer Freizügigkeit bei der Raumgestaltung hat der Baustil freilich auch einige Nachteile: So benötigt man für dieselbe Wohnfläche mehr Grundstück. Auch aus Sicht des Architekten spreche wenig für den Bungalow, sagt Bauingenieur Armin Gebauer von der »ebus GmbH – energiebewusstes Bauen und Sanieren« in Briesen/Mark. »Ein Architekt orientiert sich am ›Goldenen Schnitt‹, und beim Bungalow werden die Proportionen nicht eingehalten. Das Dach ist viel zu flach, so entsteht eine Disharmonie. Ein Bungalow entspricht eben nur der Funktion, nicht der Ästhetik.« Für eine wirkliche Fehlentwicklung hält Gebauer das massenhafte Aneinanderreihen des Haustyps. Wer einem Ort ein Gesicht geben will, braucht verschiedene Baukörper, höhere, flachere, verschiedene Dachformen. Natürlich lässt sich so etwas regulieren; da ist die Politik, sind die Gemeinden gefragt.

Wir schätzen die Ruhe
und den Platz.

Merz

Bungalow Bau Merz

Merz

Kartenansicht Altersgerechter Wohnkomfort: Anne Langpap und Daniel Höritzsch haben sich bewusst für einen Bungalow als Bauform entschieden. (Foto: Andreas Batke)

DDR-Baukastenset

Spielbaukasten mit Bauanleitung

DDR-Baukastenset

PEBE DDR Spielbaukasten aus den 1970er Jahren (Foto: Bernd Choritz)

Den Bagger im Rücken

Hanne Decker

Hanne Decker

Hanne Decker

Steine sind ihr Ding: Hanne Decker ist Archäologin in einer Berliner Grabungsfirma. (Foto: Andreas Batke)

Den Bagger im Rücken

Wenn gebaut wird, kommen die Archäologen

Dass Archäologen in privaten Grabungsfirmen arbeiten, ist seit der Wende in Brandenburg üblich. Die Grundlage dafür ist das sogenannte Verursacherprinzip, welches besagt, dass der Veranlasser des Eingriffs die Kosten für die archäologische Untersuchung im Rahmen des Zumutbaren zu tragen hat. Eine der Folgen ist, dass es nur wenige reine Forschungsgrabungen gibt und archäologische Baubegleitungen dominieren. Hanne Decker, Archäologin in einer Berliner Grabungsfirma, gräbt oft baubegleitend aus. So auch in Beeskow. Jüngst hat sie in der Mauerstraße, in der neue Wasserleitungen verlegt wurden, die Erdschichten untersucht. »Arrangieren« ist eines der meist gefallenen Worte im Zusammenhang mit der archäologischen Baubegleitung. »Eine Baustelle steht und fällt mit der Absprache untereinander«, sagt Hanne Decker. Die Archäologen wollen die Bauvorhaben nicht aufhalten. »Eine baubegleitende Maßnahme ist keine Forschungsgrabung. Wissenschaftliche Fragestellungen stehen nicht im Mittelpunkt, sondern die Dokumentation.« Mario Gericke vom Bauamt der Stadt hat als Bauherr den fristgerechten Ablauf und damit die Kosten im Blick. Er hadert ein wenig mit dem System und wünscht sich einen größeren Beitrag von der Denkmalfachbehörde. »Die Verantwortung und Pflicht wird auf den Bauherrn übertragen, jedem wird auferlegt, einen Archäologen zu beauftragen und die Kosten zu übernehmen.« Auf die Menschen einzugehen, für Verständnis zu werben ist also ebenso wichtig wie die eigentliche archäologische Arbeit. Darum geht Hanne Decker auch in Dörfer auf Infoveranstaltungen oder nimmt sich am Rand einer Grabung Zeit für die Fragen der Einwohner.

Als Kind wollte ich Schatzsucherin werden.

Beeskow Mauerstraße

Bauerabeiten Mauerstraße Beeskow

Beeskow Mauerstraße

Kartenansicht Beim Verlegen von Leitungen für Regenwasser, Schmutzwasser und Trinkwasser in der Beeskower Mauerstraße kommen auch die baubegleitenden Archäologen auf den Plan. (Foto: Andreas Batke)

Nivellierstativ

Nivellierstativ

Nivellierstativ

Nivellierstativ von Hanne Decker zur Auf- und Einmessung von Punkten (Foto: Bernd Choritz)

Drucksprühgerät

GLORIA Drucksprüher prima 5 Comfort

Drucksprühgerät

GLORIA Drucksprüher prima 5 Comfort mit Spiralschlauch und Kompressoranschluss (Foto: Bernd Choritz)

Archäologische Funde

Reitersporn, hinterer Unterschenkelknochen eines Pferdes, Hufeisen

Archäologische Funde

Reitersporn und Hufeisen, 13./14.Jahrhundert sowie hinterer Unterschenkelknochen eines Pferdes, Alter unbekannt (Foto: Bernd Choritz)

Einer für alles

Alexander Kurylyszyn

Alexander Kurylyszyn

Alexander Kurylyszyn

Liebt Technik und große Maschinen: Alexander Kurylyszyn neben seinem russischen UAZ, Baujahr 1985 (Foto: Andreas Batke)

Einer für alles

Ein regionaler Bauunternehmer startet durch

Alexander Kurylyszyn ist in Beeskow bekannt wie ein bunter Hund. Viele Menschen in seiner Heimatstadt wundern sich über das Phänomen, wie ein Ein-Mann-Betrieb in nur gut zehn Jahren auf ein Bau-Unternehmen mit 325 Mitarbeitern wachsen konnte. Denn erst 2005 hat sich Kurylyszyn, der studierte Bauingenieur mit ukrainischen Wurzeln väterlicherseits, selbstständig gemacht. »Meinen ersten Lkw habe ich zum Teil mit gepumptem Geld von einem Freund gekauft«, erzählt er. »Jetzt habe ich 80 Lkw.« Und er hat expandiert und eine ganze Firmengruppe mit insgesamt sechs eigenständigen Unternehmen aufgebaut. »Wir bieten inzwischen das komplette Programm an, vom Abriss über Recycling, Fuhrdienstleistungen, Tiefbauarbeiten bis hin zum Hochbau und Gestaltung von Außenanlagen.« Allein durch diese komplexe Firmenkonstruktion könne er bei Ausschreibungen häufig günstiger sein als seine Mitbewerber. Die Geschäfte laufen gut, Probleme mit fehlenden Mitarbeitern, wie sie heute Unternehmen fast ausnahmslos beklagen, hat Kurylyszyn Bau nach eigenen Angaben nicht. Etwa 17 Azubis gehören ständig dazu. Wo er mit seinem Unternehmen in zehn Jahren stehen wird, kann Kurylyszyn sich noch nicht ausmalen. Sich noch weiter zu vergrößern, ist nicht sein Plan, aber wenn es sich ergibt … Immer noch liebt er die Technik, die großen Maschinen. »Die waren schon immer meine Leidenschaft.« Und wenn man ihn fragt, was er denn lieber täte, abreißen oder aufbauen, lacht er und sagt: »Natürlich abreißen. Das macht mehr Spaß, da steht eine Wucht dahinter. Aber ich reiße ab, um Neues aufzubauen.«

Ich reiße ab, um Neues aufzubauen.

Beeskow

Kurylyszyns Recycling Zentrum

Beeskow

Kartenansicht In Kurylyszyns Recyling Zentrum Beeskow ist mittlerweile ein kleines Recycling-Gebirge gewachsen – Blick aus einem Radlader in Richtung Stadt. (Foto: Andreas Batke)

Arbeitskleidung für Bauarbeiter

Berufsbekleidung für Bauarbeiten

Arbeitskleidung für Bauarbeiter

Berufsbekleidung für Bauarbeiten von Kurylyszyn Bau (Foto: Bernd Choritz)

Naturruhe

Christina und Peter Pantas

Christian und Peter Pantas

Christina und Peter Pantas

Christina und Peter Pantas haben viele schöne, aber auch schlechte Erinnerungen an den Milasee. (Foto: Andreas Batke)

Naturruhe

Seltener Rückzug aus der Nutzung

Zwischen Kehrigk und Limsdorf führt die L74 entlang eines Truppenübungsplatzes durch eine Moränenlandschaft. In dieser Abgeschiedenheit finden sich zwei skandinavisch anmutende Waldseen: der kleine und der Große Milasee. 1950 wurde dieses Paradies aus der Waldgemeinschaft gerissen, entstanden dort Baracken für ein Kinderferienlager der Humboldt-Universität Berlin. Später öffneten Christina und Peter Pantas den Lagerbetrieb für Klassenfahrten. Ab 1990 war die Arbeit am Milasee eine andere. Aus dem Kinderferienlager der Humboldt-Uni war das vereinsgeführte »Kindergästehaus am Milasee« geworden. Ständig investierte der Verein »Kinder und Natur« in Küche, Bodenbeläge, Anstriche, Heizung – und in Zeit sowieso. Im April 1997 fanden Pantas‘ alles in Scherben. 200.000 Mark Schaden, verursacht über Nacht durch Jugendliche aus benachbarten Dörfern. Mit finanzieller Unterstützung seitens des Landes, Wochenend-Aufbauaktion mit Sendung im Fernsehen des Ostdeutschen Rundfunks Brandenburg und privaten Spenden gelang zwar ein Wiederaufbau, aber dem Paar sollte bald der Atem ausgehen. Nach den Pantas‘ wechselten sich mehrere Lagerleiter mit neuen Pächtern ab, Naturinteressierte mit Rowdies und Ganoven. Das Lager galt bald als Problemfall, und die Untere Naturschutzbehörde entschied zum Wohle der Seen, das Gelände wieder an die Natur zu geben. Mit der finalen Saison 2002 endete die Nutzungsgeschichte »Ferienobjekt Milasee«. Die Gebäude wurden abgetragen und die Zuwegung zugeschoben. 2003 wurde den beiden Milaseen von der Landesregierung eine unbefristete Kur von menschlicher Nutzung verordnet. Damit sind sie im Landkreis Oder-Spree ein seltenes Beispiel für mehr Naturruhe.

Ich träume noch regelmäßig vom zerstörten Gästehaus.

Milasee

Milasee

Milasee

Kartenansicht Darf jetzt einfach nur sein: der Große Milasee (Foto: Andreas Batke)

Postkarte vom Milasee

Ansichtspostkarte des Ferienlagers der Humboldt-Universität zu Berlin am Milasee, Kehrigk bei Beeskow

Postkarte vom Milasee

Ansichtspostkarte von 1973, geschrieben von Gabi [Schultz] an Wilhelm Schultz aus dem Ferienlager am Milasee (Foto: Bernd Choritz)

Schild »Landschaftsschutzgebiet«

Schild «Landschaftsschutzgebiet»

Schild »Landschaftsschutzgebiet«

Schild aus der DDR der 1970er-Jahren für ein »Landschaftsschutzgebiet« (Foto: Bernd Choritz)

Gedanken zur Hausschlachtung

Klein Schauen

Nach dem Töten kommt das Rupfen – vier geschlachtete Junghähne.

Klein Schauen

Kartenansicht Nach dem Töten kommt das Rupfen – vier geschlachtete Junghähne. (Foto: Andreas Batke)

Gedanken zur Hausschlachtung

Selbstversorgung mit Lebensmitteln war im Nachkriegsdeutschland staatlich gewollt und weit verbreitet. Noch bis zur Wende war die DDR-Landbevölkerung vertraut mit der Hausschlachtung. Meine Großeltern zogen in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts jährlich Schweine groß. Mal zwei, mal drei. Knollen und Rüben zur Schweinemast baute Opa selbst im Garten an. Ein fertiges Schwein wurde dann im zeitigen, kalten Frühjahr geschlachtet. Beim Betäuben und Töten, dem Bolzenschuss in die Stirn, dem schnellen Öffnen der Halsschlagader, war ich erst als Teenager dabei. Frauen traten umgehend hervor, um das ausströmende Blut in großen Emaille-Wannen aufzufangen und sofort unablässig mit einer Keule zu rühren. In den Schüsseln formte sich die Grundlage für »Tote Oma«, Blutwurst. Tot und blutleer wurde der Schweineleib kopfunter und breitbeinig auf eine Holzleiter gespannt und an das Schuppendach gelehnt. Der Bauch wurde geöffnet. In handlichen Stücken verschwand das Tier von der Leiter in den nahen Schlachtraum zur Veredelung. Es verblieben nur die Klauen am Gerüst. Was treibt jene, die immer noch Grundnahrungsmittel im Garten ziehen, Hühner halten? Letzteres kann ich beantworten. Ich halte Hühner. Eier zum Verzehr brauche ich keine zu kaufen. Da ich in manchen Jahren meine Hennen brüten und Küken aufziehen lasse, muss ich einzelne Tiere schlachten. Das Töten und Rupfen habe ich bei Opa gesehen. Das Fleisch meiner jungen Hähne schmeckt eigen und großartig im Frikassee. Die Genussgarantie ist nicht aufgedruckt, sie ist aber in meinem Kopf. »Von Mir« steht da und macht sehr zufrieden.

Die Genussgarantie ist nicht aufgedruckt, sie ist aber in meinem Kopf.

Schlachtemolle

Schlachtemolle

Schlachtemolle

Schlachtemolle, 19. Jh. (Foto: Armin Herrmann)

Hauklotz

Hauklotz zum Schlachten

Hauklotz

Hauklotz zum Schlachten (Foto: Armin Herrmann)

Schabeglocke

Schabeglocke

Schabeglocke

Schabeglocke aus Stahl, 21. Jh. (Foto: Armin Herrmann)

Geordnetes Chaos

Caroline Kiesow

Caroline Kiesow leitet seit vier Jahren die Glienicker Agrargesellschaft.

Caroline Kiesow

Caroline Kiesow leitet seit vier Jahren die Glienicker Agrargesellschaft. (Foto: Andreas Batke)

Holger Ackermann

Holger Ackermann vom NABU Kreisverband Fürstenwalde

Holger Ackermann

Holger Ackermann vom NABU Kreisverband Fürstenwalde setzt sich für mehr blühende Flächen ein. (Foto: Andreas Batke)

Geordnetes Chaos

Seit fast vier Jahren ist Caroline Kiesow Geschäftsführerin der Glienicker Agrargesellschaft. Die junge Landwirtin möchte Denkprozesse anstoßen, setzt sich für mehr Naturschutz ein, aber immer so, dass auch der Betrieb weiterhin Gewinn macht, vorangebracht wird. In und um Glienicke sind die Böden nicht die besten. »Wir sind hier bei maximal 25 Bodenpunkten oder weniger«, berichtet Kiesow. Bodenpunkte dienen als Grundlage für die Abschätzung der Ertragsfähigkeit eines Bodens. Weist dieser den Wert 100 auf, hat er die höchste Ertragsfähigkeit. Um unfruchtbare Flächen oder Schläge mit schlechten Bedingungen dennoch effektiv zu nutzen, kommt Kiesow der Gedanke, Blühstreifen anzulegen. Mit dem ansässigen Kindergarten startet sie das Projekt aus eigenem Antrieb. Mit regionalem Saatgut ausgestattet, fährt sie Maschine und Manpower auf, sät im Frühjahr 2018 für die Kinder und auch als Zeichen dafür, dass sie als Landwirtin nicht allein verantwortlich ist für das derzeitige Arten- und Insektensterben, blühende Streifen. Drei Jahre später, am 1. Januar 2021, tritt auch in Brandenburg als einem der letzten Bundesländer endlich eine »Richtlinie zur Förderung naturbetonter Strukturelemente im Ackerbau« in Kraft. Hierunter fallen ein- oder mehrjährige Blühstreifen, die Nützlingen, Bienen und Wildtieren als Wirts-, Nahrungs- oder Schutzpflanzen dienen. Caroline Kiesow kann nun mehr als 35 Hektar ihrer Flächen in bunte Blühstreifen verwandeln mit 27 heimischen Wildarten und sechs Kulturarten wie Kornblumen, Kamille, Phacelia, Mohn – und wird dabei unterstützt von der Politik. »Es ist ein erster Schritt«, sagt sie, »ausreichend ist es jedoch nicht.«

Sobald der Duft von Getreidefeldern in die Luft kommt, kriege ich Herzflackern.

Glienicker Agrargesellschaft

Caroline Kiesow auf dem Mähdrescher

Glienicker Agrargesellschaft

Kartenansicht Schon als Kind hat Caroline Kiesow ihre Sommerferien auf dem Mähdrescher verbracht. (Foto: Andreas Batke)

Blühmischung Brandenburg

Blühmischung Brandenburg

Blühmischung Brandenburg

Blühmischung Brandenburg (Foto: Armin Herrmann)

Modell »Biene«

Modell Biene

Modell »Biene«

Modell »Biene« (Foto: Armin Herrmann)

Das große Buddeln

Fritz-Walter Peter

Fritz-Walter Peter, Geschäftsführer der Peter & Gutke GbR

Fritz-Walter Peter

Fritz-Walter Peter ist seit mehr als drei Jahrzehnten Geschäftsführer der Peter & Gutke GbR. Zu den Geschäftsfeldern des Agrarbetriebes gehören auch Kartoffeln. (Foto: Andreas Batke)

Das große Buddeln

Hunderttausende Kartoffeln warten auf den Feldern zwischen den Dörfern Philadelphia und Groß Schauen nahe Storkow an den letzten Spätsommertagen darauf, ans Licht geholt zu werden. Und das geschieht dort auf eine recht ungewöhnliche Weise: Die Kunden graben einen Großteil der Kartoffeln im Rahmen eines Festwochenendes selbst aus. Der eine nimmt da ein halbes Kilogramm mit, andere tragen schon mal 600 Kilogramm Knollen in Säcken davon. Bezahlt werden muss selbstverständlich auch, beim Erfinder des »großen Kartoffelbuddelns von Philadelphia«: Fritz-Walter Peter, seit mehr als drei Jahrzehnten Geschäftsführer der Peter & Gutke GbR. Sechs Beschäftigte und rund 400 Hektar Land gehören dazu. Kartoffeln: »Die machen wir schon immer«, sagt Peter. Das ist alles andere als selbstverständlich. Denn gleichwohl die Knolle traditionell zu den wichtigsten Grundnahrungsmitteln in der Region gehört und seit mehr als 200 Jahren als fester Bestandteil der märkischen Landwirtschaft gilt, ist der Anbau stark rückläufig. Die Peter & Gutke GbR baut heute noch auf rund 12 Hektar Kartoffeln an. Bis zu 40.000 Kilogramm kann sie bei guten Bedingungen pro Hektar ernten. Die größte Menge wird dabei Ende September an einem einzigen Wochenende verkauft: Das »große Buddeln« hat Philadelphia und Groß Schauen nicht nur weit über die Region hinaus bekannt gemacht, längst ist es auch eine wichtige Einnahmequelle für die Peter & Gutke GbR. Und so etwas wie Brauchtumspflege für gleich mehrere Dörfer: So fahren die Schlepperfreunde Philadelphia die Kartoffelausbeute der Gäste zur Waage und zeigen historische Ernte-Technik, während die Landfrauen Kaffee und selbstgebackenen Kuchen anbieten.

Jedes Jahr ist anders, aber die Veränderung des Klimas ist schon zu merken.

Philadelphia

Lutz Werner ist als »Alter Fritz« beim Kartoffelbuddeln dabei und verliest den historischen Kartoffelbefehl.

Philadelphia

Kartenansicht Lutz Werner ist als »Alter Fritz« beim Kartoffelbuddeln dabei und verliest den historischen Kartoffelbefehl. (Foto: Andreas Batke)

Kartoffelhack und Korb

Kartoffelhack und Korb

Kartoffelhack und Korb

Kartoffelhack und Korb, 20. Jh. (Foto: Armin Herrmann)

Kartoffelhacke

Kartoffelhacke

Kartoffelhacke, 20. Jh. (Foto: Armin Herrmann)

Blaubeerkamm

Blaubeerkamm

Blaubeerkamm

Blaubeerkamm, 20. Jh. (Foto: Armin Herrmann)

Den Wandel leben

Angela Kurzhals und Michaela Berend

Angela Kurzhals (l.), die den Laden früher geleitet hat, trifft heutige Quick-Shop-Betreiberin Michaela Berend

Angela Kurzhals und Michaela Berend

Angela Kurzhals (l.), die den Laden früher geleitet hat, ist für Quick-Shop-Betreiberin Michaela Berend eine wichtige Beraterin. (Foto: Andreas Batke)

Den Wandel leben

Als gelernte Gastronomin mit langjähriger Erfahrung als Filialleiterin eines Lebensmittel-Discounters, wird die Stelle von Michaela Berend 2016 derart unattraktiv, dass sie den Weg in die Selbstständigkeit wählt. Die Chance für den Laden an der L23 in Spreeau ergibt sich kurzfristig, und mit Unterstützung ihres Mannes wagt sie den Wechsel. Seitdem ist der Quick Shop die Drehscheibe des beruflichen und privaten Lebens der 54-Jährigen. Um zu bestehen, bedarf es einer komplexen und spezifischen Mischung, die eine breit gefächerte Kundschaft aus pendelnden Bauarbeitern, Fernfahrern, Radreisenden und Einheimischen zu adressieren vermag. Der eine kommt morgens wegen der belegten Brötchen und der Bockwurst, die andere liebt die Milchquelle und von den nächsten werden vor allem am Wochenende die frischen Brötchen geschätzt. Der Quick Shop-Ansatz kontrastiert das seit einiger Zeit wiederbelebte Konzept der Dorfläden. Mit der Förderung von Regionalisierung und Gemeinschaft, zielt es auf die Lösung der Herausforderungen in ländlichen Gebieten ab. Zum romantischen Sinnbild erhoben, operieren die neuen Dorfläden aber vielerorts mit einer idealistischen Haltung an lokalen Realitäten vorbei. Dem Quick Shop passiert das nicht. Raststätte und Café, Späti und Dorfladen – all das fügt sich gut zusammen. »Von Lebensmitteln allein würde der Laden nicht überleben. Die Discounter übernehmen heute die Waren des täglichen Bedarfs.« Die Besonderheit des Quick Shops zeigt sich dabei auch in dem Zusammenspiel mit den Kunden und Kundinnen, denn hier hat man noch Zeit für einen kurzen Plausch.

Von Lebensmitteln allein würde der Laden nicht überleben.

Quick Shop Spreeau

Die einladende Theke des Quick Shops in Spreeau

Quick Shop Spreeau

Kartenansicht Die einladende Theke erinnert an eine Mischung aus Bäckerei und Schnellimbiss (Foto: Andreas Batke)

Quick Shop Spreeau

Ladenraum des Quick-Shops in Spreeau

Quick Shop Spreeau

Kartenansicht Ladenraum des Quick-Shops in Spreeau (Foto: Andreas Batke)

Kundenstopper

Kundenstopper

Kundenstopper

Kundenstopper, 21. Jh. (Foto: Armin Herrmann)

Konsum-Körbe und –Werbung

Konsum-Körbe aus Leichtmetall

Konsum-Körbe und –Werbung

Konsum-Körbe aus Leichtmetall (Foto: Armin Herrmann)